von Franz-Viktor Salomon – vom Stein, Juni 2014
Die „Mutter aller Euro-Lügen“ nannte der FOCUS den Bruch des Maastricht-Vertrages, der in seiner No-Bailout-Klausel die Haftung für Schulden anderer EU-Mitgliedsstaaten verbietet. „Wenn es ernst wird, muss man lügen“ meinte der Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker auf einer Veranstaltung zum Thema Finanzpolitik in Brüssel. Aber selbst diese offen ausgesprochene Verachtung für die europäischen Bürger reicht nicht aus, Herrn Juncker für ein europäisches Spitzenamt zu disqualifizieren, nein, er taugt nach Brüsseler Demokratieverständnis sogar für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten.
Die Eurorettungspolitik hat zu teilweise dramatischen Problemen in den europäischen Staaten geführt. Arbeitslosenraten unter Jugendlichen in Griechenland von über 60%, in Spanien von über 50%, in Portugal und Italien von über 40%, Rentenkürzungen und rapide Verarmung breiter Bevölkerungsschichten in den europäischen Südländern, schleichende Enteignung der europäischen Sparer, Gefährdung der Renten- und Versicherungssysteme, begleitet von staatlicher Bankenrettung, finanziert durch den Steuerzahler, sind das politische Armutszeugnis dieser EU. Der Schuldenstand allein der Bundesrepublik Deutschland hat den schwindelerregenden Stand von fast 2.200 Milliarden Euro erreicht. Das entspricht einer Verschuldung pro erwerbstätigem Deutschen von über 50.000 Euro. Die europäische Schuldenunion steht vor der Tür. Bei all dem kann die steigende Ablehnung einer solchen Europäischen Union durch ihre Bürger nicht verwundern.
Die Alternative für Deutschland (AfD) ist entstanden aus dem Willen, dieser für alternativlos erklärten zerstörerischen Politik ein Ende zu machen. Was sie nicht will, ist ein Europa, in dem Verträge nach politischem Gutdünken einfach gebrochen werden. Sie will kein Europa, das nicht mehr ist, als eine riesige Umverteilungsmaschine, die, wenn es nichts mehr zu verteilen gibt, Schulden in unvorstellbaren Größenordnungen macht, für die unsere Kinder und Kindeskinder eines Tages haften müssen. Wir Deutsche müssen uns keinen Mangel an Solidarität vorwerfen lassen. Wir müssen uns aber fragen, wieso unsere Bereitschaft, Lasten mit anderen Staaten zu teilen, statt zur Vertiefung der Freundschaft zu Ablehnung und sogar Hass auf deutsche Politiker führt. Die Ursache besteht darin, dass dieses Europa nicht durch souveräne Entscheidung der Völker sondern durch selbstherrliche Beschlüsse der Brüsseler Politiker entstanden ist. Die europäische Einigung steckt in einer Sackgasse und aus dieser gibt es nur den Weg der Umkehr. Die AfD steht zu einer EU der Demokratie, der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Rechts und der Solidarität mit den wirklich Bedürftigen.
Die AfD will nicht länger hinnehmen, dass die Volkssouveränität als höchstes Gut der Demokratie systematisch ignoriert wird. Die Europäer wurden nicht gefragt, ob sie willens sind, ihre nationale Souveränität aufzugeben und ein europäisches Staatsvolk zu werden. Insofern haben der Brüsseler Politikapparat und seine willfährigen Handlanger in den europäischen Ländern die Völker von vornherein um die Freiheit zur Selbstbestimmung betrogen.
Demokratien sind Wertegemeinschaften. Für die Väter des europäischen Einigungsgedankens Konrad Adenauer, Robert Schumann, Alcide de Gasperi und Jean Monnet stand außer Frage, dass ein vereinigtes Europa eine Wertegemeinschaft sein musste. Die Entwicklung dieser Gemeinschaft sollte dem Erhalt der abendländisch-christlichen Werte, dem sozialen Fortschritt und der materiellen Wohlfahrt, im Einklang mit der Freiheit der Person und der Völker, dienen. In mehr als fünf Jahrzehnten ist ein Großteil der ursprünglichen Ziele erreicht worden. Inzwischen beginnt der Gründungskonsens zu bröckeln. Der Entwurf einer Europäischen Verfassung, der, das sei angemerkt, auf einen Gottesbezug verzichtet, ist vorerst gescheitert. Der Eintritt 10 neuer Mitglieder im Jahre 2004, die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien 2007 und die daraus resultierende Probleme werfen Fragen nach dem Sinn neuer Erweiterungen auf. Das Beitrittsgesuch der Türkei berührt die Identitätsfrage der Gemeinschaft. Die Eurokrise und die so genannte Eurorettungspolitik stellen alle bisher erreichten Erfolge auf dem Weg zur europäischen Einigung in Frage. Die Bedenken und die Ängste der Bürger vor weiteren europapolitischen Fehlern wurden und werden von den etablierten Parteien nicht ernst genommen.
Um ihr undemokratisches Handeln zu kaschieren, bedienen sich die Europafunktionäre schamlos des Einsatzes finanzieller Mittel. Sie degradieren die Menschen in den Mitgliedsstaaten zu Empfängern finanzieller Zuwendungen, um sie auf diese Weise ihrem politischen Willen zu unterwerfen. Mit der gegen warnende Stimmen durchgepeitschten Einführung des Euros wurde der Demokratie schwerer Schaden zugefügt. Jeder, der eine öffentliche Diskussion zum Thema forderte, wurde zum Europagegner gestempelt, als „Populist“ verunglimpft und als Extremist in die rechte Schmuddelecke gestellt.
Niemand hat ein Patentrezept, das die verfahrene Situation in Europa mit einem Schlag auflösen kann. Ein stures „Weiter so!“ führt den Kontinent aber mit großer Wahrscheinlichkeit zum desaströsen Scheitern. Dringend nötig ist eine breite, offene Diskussion ohne Tabus. Der freie Austausch von Gedanken, das geregelte Mitreden und Mitentscheiden machen eine republikanische Leitkultur aus. Sie sind die Voraussetzung für das Fortbestehen von Demokratie.
An die Stelle einer freien Meinungsbildung tritt jedoch immer öfter eine auf subtile Weise verordnete so genannte „öffentliche Meinung“, die, zum Volkswillen erklärt, das individuelle Denken eingrenzen soll. Unter dem Schlagwort „Politische Korrektheit“ werden Meinungen zensiert oder denunziert, Wahrheiten totgeschwiegen, Wissenschaften nach Belieben für unzuständig erklärt, moralische Entrüstung zur Schau getragen, kritische Bücher in blindem Hass verrissen, Bürger bevormundet. Andersdenkende werden moralisch eingeschüchtert. Zu dem unseligen Wirken der Ritter selbst angemaßter moralischen Deutungshoheit sei die rechtsextremer Haltung gewiss unverdächtige Publizistin Bettina Röhl zitiert: „Diejenigen, die das Wort ‚Populismus‘ routiniert gegen andere Menschen mit herabwertender Absicht verwenden, sind höchst selber „Populisten“ und sie sind die gefährlichsten Populisten noch dazu. Die Perfidie der Art und Weise, wie der Begriff „Populismus“ verwendet wird, liegt darin, dass immer mehr selbst ernannte Vertreter des politisch korrekten Mainstream seit einiger Zeit in einer gefährlichen Mischung aus Dummheit und ideologischer Verblendung behaupten, dass es ihn, den politisch-korrekten Mainstream, gar nicht gäbe.“
Auch die deutsche Sprache wird im politisch-korrekten Genderwahn verwüstet. Militante Feministinnen an der Berliner Humboldt-Universität fordern etwa, den Drucker künftig die „Drucka“ und den Türöffner die „Türöffna“ zu nennen. An der Universität Leipzig gilt nach Annahme einer neuen Grundordnung nur noch der Titel „Professorin“, ganz unabhängig davon, ob es sich bei der Person um eine Frau oder einen Mann handelt. Purer, auf der Theorie des Radikalen Konstruktivismus aufgebauter Blödsinn, wie die Behauptung, es gäbe keine Frauen an sich, diese seien lediglich ein kulturelles Konstrukt, wird sogar zum Gegenstand öffentlicher Erörterung in den Medien. Im Lichte dieser Entwicklungen wird die vor fast 200 Jahren ausgesprochene Befürchtung des Begründers der vergleichenden Politikwissenschaft, Alexis de Tocquueville, die demokratische Freiheit könne auch in demokratische Tyrannei umschlagen, zu einer aktuellen Bedrohung.
Eine weitere Gefährdung erwächst der Demokratie durch mächtige internationale Gremien, denen es an jeglicher demokratischer Legitimation fehlt. Dazu gehören die Vereinten Nationen, ihre Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), die Kommissionen der Europäischen Union und die internationalen Gerichtshöfe. Deren Konventionen, Initiativen und Sprüche sind in den Staaten in nationales Recht umzusetzen, ohne das es dazu noch der Mitwirkung des Volkswillens bedarf. In einer solchen durch Legitimitätsverlust charakterisierten „Postdemokratie“ ist das Volk nicht mehr oberster Souverän, sondern, wie es der Althistoriker Egon Flaig formuliert, nur noch das Objekt erzieherischer Maßnahmen.
Angesichts der krisenhaften europäischen Situation wachsender Schuldenberge und demographischer Verwerfungen ist immer häufiger die Frage zu hören, ob das soziale Band der Gesellschaft abhanden zu kommen droht oder gar schon zerrissen ist. Der Soziologe Johannes Berger sieht den sozialen Zusammenhalt nicht nur gefährdet, weil subjektiv die Orientierung am gemeinsamen Ganzen abnimmt, sondern auch weil sich objektiv die gesellschaftlichen Gräben vertiefen. Das in der Bundesrepublik der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte überaus erfolgreiche Modell der sozialen Marktwirtschaft ist längst ausgehebelt. An seine Stelle ist ein Wohlfahrtsstaat getreten, dessen Tätigkeit sich mehr und mehr in der Sorge um Verteilungsgerechtigkeit erschöpft. Damit entpolitisiert er die Gemeinschaft und macht aus Staatsbürgern bloße Untertanen. Die Gemeinschaft der Bürger zerfällt in widerstreitende Interessengruppen. Parallel tobt ein gesellschaftszerstörender globaler Raubtierkapitalismus. In der gegenwärtigen Eurokrise wird deutlich, dass dieser Wohlfahrtsstaat seine Grenzen erreicht hat.
Was ist zu tun, das soziale Band neu zu knüpfen, seine Bindewirkung zu verstärken und die Bundesrepublik Deutschland wieder zu einer demokratischen Gemeinschaft zu machen, in der es um mehr als Verteilungsgerechtigkeit geht, in der Opfer für die Gemeinschaft selbstverständlich sind. Dass es dabei um die konsequente Bekämpfung der Auswüchse kapitalistischer Globalisierung und die Regulierung der internationalen Finanzmärkte geht, dürfte unbestritten sein. Es geht aber auch um die Identifizierung des einzelnen Staatsbürgers, sowohl des autochthonen wie auch des eingewanderten Deutschen, mit der Gemeinschaft. Dazu gehören ein gemeinsamer Wertekonsens und die Verankerung in einem gemeinsamen Geschichtsbild.
Eine Voraussetzung für die europäische Integration und das Entstehen einer europäischen Wertegemeinschaft ist, dass die Partner zunächst unverkrampft ihre nationalen Eigentümlichkeiten bestimmen, sich ihre Geschichte zu eigen machen und ihre Interessen definieren. Anders als in den europäischen Partnerländern ist die deutsche Erinnerungskultur weitgehend eingeengt auf die drei Jahrzehnte zwischen 1914 und 1945. Patriotismus, Vaterlandsliebe, Nationalstolz werden unter Chauvinismusverdacht gestellt. Der blutleer daherkommende, auf Dolf Sternberger und Jürgen Habermas zurückgehende Begriff des „Verfassungspatriotismus“ ist jedoch kein Ersatz für verinnerlichte Werte. Das uneingeschränkte Bekenntnis der europäischen Völker zu ihrer nationalen Kultur und der unverstellte Blick auf die eigene Geschichte bilden das kulturelle Gedächtnis Europas. Erst das klare Bekenntnis zur eigenen Nation ist die Grundlage eines Beitritts zu einer europäischen Wertegemeinschaft. Der Gedanke des großen französischen Staatsmannes Charles de Gaulle, der für ein Europa der Vaterländer warb, erscheint nach wie vor richtig.
In ihrem Eintreten für einen offenen politischen Dialog über die gegenwärtigen Probleme Europas, in ihrem Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit setzt die Alternative für Deutschland auf die Kraft der Vernunft. Sie sieht im Verfassungsgrundsatz der Volkssouveränität ein unveräußerliches Staatsformmerkmal der Bundesrepublik Deutschland und das höchste zu verteidigende Gut. Insofern weist der wieder und wieder gegen die AfD vorgebrachte Populismusvorwurf auf alle die zurück, die ihn hochmütig erheben.