von Franz-Viktor Salomon-vom Stein
Seit der Bundestagswahl sind 4 Monate vergangen. Wann es zur Bildung einer neuen Regierung kommt, ist noch immer nicht abzusehen. Und das obgleich das Ergebnis der Wahlen eine satte konservativ-liberale Mehrheit ausweist. CDU/CSU, AfD und FDP kamen am 24. September 2017 zusammen auf 56,3% der Stimmen. Unter normalen Umständen wäre es zügig zur Regierungsbildung unter einem Kanzler aus der stärksten und einem Vizekanzler aus der drittstärksten Bundestagsfraktion gekommen. Die Verhältnisse sind aber nicht normal. Der von 5,9 Millionen Wählern in den Bundestag gewählte AfD wird von den anderen Parteien die Legitimation zu politischer Mitgestaltung abgesprochen.
Dabei haben wir es in Deutschland mit einer Lage zu tun, welche eher heute als morgen die Formulierung gesellschaftlicher Zielstellungen und klare politische Führung verlangt. Bei der Formulierung von Zielstellungen haben wir es in Deutschland mit einer Vielzahl ernster Konflikte zu tun. Nun sind Konflikte sind an sich nichts Bedrohliches. Sofern sie erfolgreich gelöst werden, sind sie, ich zitiere Ralf Dahrendorf, die „Quelle des gesellschaftlichen Fortschritts“. Das Feld, auf dem die Konflikte aber nur gelöst werden können, ist die Öffentlichkeit. Und Öffentlichkeit ist, so lehrte uns Immanuel Kant, der Ort, wo Bürger auf Basis ihrer eigenen Meinung darüber verhandeln sollen, was rechtlich und was unzumutbar ist.
Wird die Entäußerung der eigenen Meinung aber durch eine sogenannte „öffentliche Meinung“ unterdrückt, ist die demokratische Kontrolle der Regierung nicht mehr gegeben. Für Hannah Ahrendt ist diese „öffentliche Meinung“ in Wahrheit der Tod aller Meinungen und der Meinungsbildung. Bis vor wenigen Jahren galt für den Prozess der politischen Meinungsbildung eine Gewissheit, nämlich dass es Normen und Grenzen gibt, die ein Politiker nicht folgenlos übertritt. Diese Grenzen sind in jüngster Zeit durch nachgewiesene Verfassungs-, Vertrags- und Gesetzesbrüche relativiert worden. Zum Beispiel stellte erst jüngst eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages fest, dass Merkels Grenzöffnung jegliche Rechtsgrundlage fehlte, dass es dafür wenigstens einer Abstimmung im Bundestag bedurft hätte.
Rechtsbruch ist in manchen Politikbereichen zur Grundlage des Regierungshandelns geworden, und zwar immer dann, wenn an Stelle von Recht, Gesetz und Verfassung ein humanitär verblasener Imperialismus getreten ist. Was da am Horizont heraufzieht, scheint die totalitäre Variante der Demokratie zu sein. Dass sich dagegen in der Öffentlichkeit Protest erhebt, ist nur normal. Es hätte längst eine Debatte einsetzen müssen, die den sachlichen Kern dieser rechtlich bedenklichen Entscheidungen freilegt. Stattdessen wurden und werden Kritiker unter dem Vorwurf des Populismus in ein politisches Ghetto abgeschoben, einen Ort, welcher den weniger Bedachtsamen zur Radikalisierung geradezu herausfordert.
Aus der Position einer Gesinnungsethik erklärte das politisch-mediale Establishment in einem selbstherrlichen Fortschritts- und Aufklärungsjargon Werte zum Maßstab des Handelns, ohne die Folgen der Handlungen zu bedenken. Wirkliche sachliche Auseinandersetzung wurde ersetzt durch gouvernantenhaft politisch-korrekt reglementierte Debatten in Talkshows und Feuilletons. Politische Empörung und Entrüstung dominierten in wichtigen Fragen den politischen Diskurs und zeigen an, dass wir in Wahrheit gar keinen Diskurs mehr haben. Denn niemand lügt so sehr wie der Entrüstete ( Nietzsche).
Ich sehe mit großer Sorge, dass, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR, Andersdenkende in Deutschland schon wieder als Ketzer gebrandmarkt und ins gesellschaftliche Abseits gestellt werden. Inzwischen demonstriert ja in Deutschland nicht mehr die Opposition, vielmehr wird gegen die Opposition demonstriert. Die Bundesrepublik ist auf dem Wege zur pluralistischen Variante des Einparteiensystems zu werden. In der DDR hieß es: Wer nicht für uns ist, ist gegen den Weltfrieden. Heute wird in blinder Aburteilungswut jeder, der dem Zeitgeist nicht applaudiert, zum Rechtspopulisten, Rechtsextremen oder Schlimmerem gestempelt. Die Attacken gegen politische Konkurrenten reichen von verbaler Bedrohung über physische Angriffe bis zur Pogromhetze.
Genannt sei als Beispiel das Online-Lexikon der Heinrich-Böll-Stiftung im Internet, das Personen auflistet, die durch sogenannte Angriffe gegen Feminismus, Gleichstellungspolitik, gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechterforschung aufgefallen sind. Ein anderes beschämendes Beispiel: Die Handlungsanleitung des Verdi-Bezirks Süd-Ost-Niedersachsen zur Ausgrenzung missliebiger Kollegen. Diese strategische Anleitung zum Ausforschen, Isolieren und Mobben von Kollegen durch Kollegen erinnert an die „Zersetzungsrichtlinie 1/76“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zur Bekämpfung von Gegnern der SED-Herrschaft und damit an die dunkelsten Seiten der zweiten Diktatur auf deutschem Boden.
Anstatt die Proteste gegen Rechts- und Gesetzesbrüche für rechtspopulistisch oder rechtsradikal zu erklären und die Protestierer als Pack oder Schande für Deutschland zu bezeichnen, würde es genügen, in der Diskussion über strittige Positionen einfach zur Unterscheidung von „wahr“ und „falsch“ zurückzukehren.
Die Liste der die Gesellschaft spaltenden Positionen ist lang und die Kontroversen reichen tief. Zum Thema Finanzpolitik muss nicht mehr viel gesagt werden. Wer den monströsen Irrsinn der Eurorettungspolitik nicht sieht, dem scheinen die Folgen gleichgültig zu sein. Die europäische Einheitswährung ist ein neoliberales Unheil, das die Völker spaltet und die Sozialstandards unterminiert.
Das Thema Bildung verdiente etwas anderes als immer neue Experimente.
Erstklässlern das Schreiben nach Gehör beizubringen oder die Schreibschrift abzuschaffen, sollte eher ein Straftatbestand als ein pädagogischer Ansatz sein. Es muss wieder um Fachwissen statt um Kompetenzorientierung gehen. Denn der Anteil unter eintausend Zehnjährigen mit höchsten Mathematik-Leistungswerten ist in Deutschland inzwischen auf 50 gesunken. In Singapur liegt er bei 500, in den USA immerhin bei 140.
Die Anzahl der Rechtschreibfehler, die Zehnjährige machen, hat sich binnen 40 Jahren um 77% erhöht. Der schulamtlich vorgegebene Wortschatz wurde in dieser Zeit von 1.100 auf 700 reduziert. Der Prozentsatz der Studienabbrecher in universitären Fachbereichen beträgt inzwischen 30% und mehr.
Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu Leistung und Elitenförderung, wenn wir im globalen Wettbewerb bestehen wollen. Schule ist keine Institution zur Herstellung von Gleichheit, sondern zur Förderung von Verschiedenheit und Individualität. Verschiedenheit ist keine Ungerechtigkeit, die per Ordre de Mufti abgeschafft werden kann. Vielmehr ist nichts ungerechter als die gleiche Behandlung Ungleicher. Deutschland täte gut daran, einmal auf das Bildungssystem der DDR zu schauen, dass dem von hier und heute weit überlegen war.
Dass Umweltschutz und Energiepolitik sehr wichtige Themen sind, wird kein vernünftiger Mensch bestreiten. Es ist aber falsch Technologien zum Feindbild zu machen. Sonst wird aus dem berechtigten Anliegen schnell ein ökologisch getarnter ökonomischer Amoklauf in ein energiepolitisches Wolkenkuckucksheim. Beispiel: Die abrupte Energiewende, die in Wahrheit eine Verstaatlichung der Energiewirtschaft ist und die Marktwirtschaft beschädigt.
In der Auseinandersetzung um die Energiepolitik demaskiert sich die ideologische Komponente ganz unbeabsichtigt durch den der Wissenschaft hohnsprechenden Begriff „Erneuerbare Energien“. Es gibt nämlich überhaupt keine erneuerbare Energie. Das Hauptgesetz der gesamten Physik ist der von Robert Mayer entdeckte Energiesatz: „Die Energie des Weltalls ist konstant“. Das heißt, Energie kann umgewandelt, aber nicht erneuert werden.
Von existenzieller Bedeutung für unser Land ist die Familienpolitik. Bei allem Respekt vor anderen Lebensformen, der Fortbestand eines Volkes wird nun einmal nur durch Ehe und Familie gewährleistet. Und dazu gehört ganz klar der Schutz des ungeborenen Lebens. Indem man die traditionelle Familie zum „Hort der Unterdrückung“ erklärt und den Begriff „Ehe“ für alle möglichen Lebensformen umcodiert, verabschiedet man sich demographisch aus der Geschichte.
Und indem man zulässt, dass Kinderreichtum zum Armutsrisiko wird, hebelt man den vor 60 Jahren geschlossenen Generationenvertrag zur Rente aus. Der Anteil der lebenslang kinderlosen Frauen ist in Deutschland auf fast 25% gestiegen. Das ist die Hauptursache für die Halbierung der Geburtenzahlen in den letzten 50 Jahren auf 1,4 Lebendgeborene pro Frau. Kinderlosigkeit ist aber nicht in erster Linie Folge eines um sich greifenden hedonistischen Individualismus. Was fehlt, ist die verlässliche Garantie für Frauen, in ihren Entfaltungsmöglichkeiten durch Kinder nicht eingeschränkt zu werden. Das gilt sowohl für die Ausbildung als auch für die berufliche Tätigkeit.
Auch auf diesem Feld würde sich ein Blick auf die Verhältnisse in der DDR lohnen, nämlich auf deren Familienpolitik. Ein Kind zu haben war dort weder für eine junge Familie noch für eine alleinstehende Frau oder für eine Studentin ein existenzielles Problem. Kindergärten hatten außer an gesetzlichen Feiertagen von früh 7 Uhr bis abends 18 Uhr geöffnet. Es gab keinen Schulausfall wegen Lehrermangels, Wandertagen des Lehrpersonals oder Fortbildung während der Unterrichtszeiten.
Zum Thema Gender-Diversity, Gender-Mainstreaming und Political Correctness: Die an mittlerweile 250 Lehrstühlen und 25 Instituten betriebene Genderforschung wird zum Glück immer mehr als autoritäre Anmaßung entlarvt, die das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen gegen deren Willen massiv verändern will. Immer Menschen wehren sich dagegen, dass im Namen von Gender-Diversity und Gender-Mainstreaming zentrale Einrichtungen unserer Gesellschaft wie Kindergärten, Schulen, Universitäten und öffentliche Institutionen systematisch umgebaut werden. Geschlechterforschung macht Wissenschaft zur Kampfzone und die Vorlesung zur Predigt. Sie beruht ausschließlich auf sozialwissenschaftlichen Deutungen, was sie in den Status einer Ideologie erhebt. Mit Wissenschaft und Freiheit der Forschung hat das wenig, mit Gaukelei aber umso mehr zu tun. Sehr Ärgerlich ist nur, dass inzwischen auch die Webseiten vieler Behörden, Ämter und Rathäuser auf diesen Unfug verlinken und ihn so immer mehr zur Staatsdoktrin erheben.
Einen tiefen Dissens gibt es leider auch im Umgang mit der deutschen und europäischen Geschichte. In den Schulen hat sich ein zeitgeschichtlicher Analphabetismus breitgemacht. 80 bis 90% der Schüler können mit den Daten „17. Juni“ oder „13 August“ nichts anfangen. Ein verklemmter deutscher Selbsthass, man könnte ihn im politisch-korrekten Sprachgebrauch „Autogermanophobie“ oder, allgemeiner, „Oikophobie“ nennen, verhindert eine produktive Auseinandersetzung mit unserer Geschichte.
„Ein Volk ohne Wurzel ist ein krankes Volk“, sagt Papst Franziskus. Das Heilige Römische Reich ist tausend Jahre älter als das Dritte Reich, das nicht allein für den deutschen Namen stehen kann und darf. Es hat große Kaiser, Könige, Künstler und Wissenschaftler, auch große Halunken und Scheusale hervorgebracht. Es erlebte Zeiten der Blüte und Zeiten des Niedergangs. In diesen tausend Jahren entstanden der Dom zu Speyer und die Wartburg, Gutenbergs Bibel und Mozarts Requiem, die Burgen am Rhein und die Naumburger Stifterfiguren. Wer im Angesicht dieser Geschichte hinter Transparenten mit der Aufschrift „Nie wieder Deutschland“ oder „Deutschland du mieses Stück Scheiße“ herläuft, wie eine stellvertretende Bundestagspräsidentin das zu tun beliebt, dem geht es um politisch gelenkte Geschichtsschreibung.
Fremde Kulturen zu idealisieren und die eigene zu leugnen ist genauso aggressiv wie das Gegenteil. Wer den Namen des bedeutenden Kämpfers gegen die Leibeigenschaft und die Napoleonische Gewaltherrschaft, Ernst Moritz Arndt, aus dem öffentlichen Leben verbannen will, dem ist allenfalls historische Halbbildung zu bescheinigen. Wer an der von der internationalen Historiographie eindeutig verworfenen These Fritz Fischers von Deutschlands Alleinschuld am Ersten Weltkrieg festhält und zugleich am Sarkophag im Pariser Invalidendom dem größten Völkerschlächter des 19. Jahrhunderts kritiklos huldigt, dem geht es um die ideologische Korrektur der geschichtlichen Wirklichkeit. Vergangenheit kann nicht nach den Maßstäben der Gegenwart beurteilt werden.
Ein letzter hier benannter Streitpunkt, die Bundeswehr: Die Streitkräfte werden nicht selten wie Feinde im eigenen Land behandelt. Dadurch wird die Motivation der Soldaten bewusst untergraben. So wird etwa Bundeswehrwerbung an Schulen als „Kriegseinsatz im Klassenzimmer“ diffamiert (taz). Nicht wenige Universitäten haben sich „Zivilklauseln“ gegeben, mittels derer wissenschaftliche Kontakte mit der Bundeswehr oder der wehrtechnischen Industrie verboten werden. Die Selbstbezichtigungssucht im Umgang mit der Geschichte macht auch vor der Bundeswehr nicht halt. Ein Beispiel: Das Ansinnen die Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne umzubenennen. Wie soll sie denn stattdessen heißen? Vielleicht Mahatma-Gandhi-Kaserne?
Die Bundeswehr ist mit 1,2% am Bruttoinlandsprodukt unterfinanziert. Einen geringeren Anteil der Militärausgaben am BIP weist in Europa lediglich Albanien auf. Keines der 6 U-Boote der Bundesmarine ist derzeit einsatzfähig. Die meisten Hubschrauber sind wegen Ersatzteilmangels flugunfähig. Das Gleiche gilt für die Hälfte aller Euro-Fighter der Luftwaffe. Anstatt diese Missstände zu beheben, schürt die Verteidigungsministerin in überzogener und hysterischer Weise ein Klima des Misstrauens gegen die Bundeswehr. Die Soldaten, die für die äußere Sicherheit Deutschlands mit ihrem Leben einstehen, haben etwas anderes verdient, nämlich ein klares Bekenntnis zur Truppe und jegliche Unterstützung und Anerkennung durch die Gesellschaft.
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